Es wird langsam eine kleine Tradition. Und sie gefällt mir. Den einen oder anderen Gastbeitrag gab es ja bereits auf ZEIGR. Bisher waren die Gastautoren Blogger und Journalisten, sogar ein Verleger, die recht viel mit dem Thema Uhren zu tun haben. Anders bei Sven Stillich. Er ist zwar auch Journalist und Buchautor, schreibt aber über ganz andere Themen. Und das ziemlich gut. Aber da bin ich voreingenommen. Wir sind schließlich befreundet. Zudem hat er mich mehr als nur einmal inspiriert. – Seien es seine Texte, Gedanken oder seine Fotos, die er damals in seinem Blog „Verweilen im Vorübergehen“ veröffentlichte. Insbesondere ein Satz, den er mal vor Jahren am Elbstrand zu mir sagte, hat nicht unerheblich dazu beigetragen, dass ich heute ZEIGR betreibe. Außerdem war er mit ein Grund, warum ich damals anfing, mich zunehmend mit dem Thema Fotografie zu beschäftigen. Ich mochte seine (nachdenklichen) Bilder. Schön also, dass sich der Kreis vor kurzem schloß – und zu diesem Artikel führte. Aber das ist Svens Geschichte. Und die lest Ihr jetzt :)
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Und es hat Tick gemacht – ein Gastbeitrag von Sven Stillich
Die Geschichte, um die es hier gehen soll, begann vor rund zehn Jahren. Das ist wichtig zu erwähnen, denn Zeit ist wichtig in dieser Geschichte. Damals saßen Theo und ich am Strand an der Elbe, denn wir hatten etwas zu feiern. An diesem Tag stand unser beider Leben kurz still, wir feierten unsere persönliche Zeitumstellung: den Abschied von dem, was gewesen war (unsere Festanstellung) und die Vorfreude auf das, was kommen würde (die Freiheit, ein Wagnis). Wir saßen im Sand, schauten durch das Grün der Flaschen in die Sonne, und noch heute kommen mir diese Stunden endlos vor und schwerelos. Danach haben wir uns zehn Jahre nicht gesehen.
Als unsere Geschichte vor kurzem weiterging, saßen wir wieder zusammen; dieselbe Biermarke, ein anderer Ort, mein Lieblingsgrieche seit 20 Jahren. Und bei all dem was-machst-du-so und du-so (und Ouzo) kamen wir irgendwann auf Uhren zu sprechen. Auf Theos große Leidenschaft. Und damit auf etwas, von dem ich keine Ahnung hatte, das mich aber interessierte. Ich hatte kaum Beziehungen oder Erinnerungen an Uhren. Als Kind hatte ich mal eine gefunden, in der Schienenfuge einer Straßenbahn; lange kann die da nicht gelegen haben. Sie war golden, ich habe sie mitgenommen. Es war eine Automatik, sie zog ihre Energie daraus, dass ich mich bewegte – was mich bis heute fasziniert. Ich habe sie wohl noch, aber ich weiß nicht genau, wo. Später, in meinem ersten Semester als Student, besaß ich eine sehr schöne Swatch, die wollte mir damals in einer Kneipe jemand für viel Geld abkaufen – für so viel, dass ich abgelehnt habe. Die habe ich auch noch.
Theo erzählte mir an diesem Abend von radioaktiven Zifferblättern, Speedmastern und Max Bill und davon, dass gefühlt alle Schweizer Uhrenmarken inzwischen zu Swatch gehören (und dass meine Swatch von damals vielleicht heute kaum noch was wert ist). Von ZEIGR hat er geredet natürlich, und dann hat er mir diese grandiosen Fotos gezeigt, die er von Uhren macht. Und irgendwie merkt man ja, wenn in einem plötzlich etwas in Unruhe gerät. Wenn man sich mit einem Mal selbst fragt: Wie würde ich mir eigentlich gefallen mit einer Uhr ums Handgelenk? So war das bei mir an unserem Abend. Und dann passierten noch zwei Sachen: Theo sagte mir auf den Kopf zu, welches alte Uhrenmodell mir wahrscheinlich gefallen würde. Und die Bedienung des Restaurants – ein Vintage-Rolex-Liebhaber – gab mir noch zwei Firmennamen mit in die Nacht: »Ruhla. Und Slava. Schau da auch mal danach.« Ruhla. Slava. Nie gehört.
Das ist jetzt rund vier Monate her. Inzwischen besitze ich zehn Uhren. Alle über Ebay gekauft. Die erste war eine Casio aus den Siebzigerjahren, mit digitaler Anzeige und Ziffernblatt, ein Produkt aus einer Zwischenzeit, für 12 Euro 50. Sie ist mir ein wenig zu klein, aber allein für diese Erkenntnis hat sie sich schon gelohnt. Danach habe ich etwas entdeckt, von dem ich gar nicht wusste, dass es so etwas gibt: Scheibenuhren. Die erste, die ihren Weg zu mir fand, war eine von Skone für 31,01 Euro.
Sehr hübsch. Meine Schwarze von Fossil (57,99 Euro) finde ich immer noch super, die Orangene von Ruhla (!) (für 71,71 Euro) ist ein Traum.
Außerdem mag ich meine Raketa aus den Sechzigern, meine Sutronic und meine Slava (»Schau da auch mal danach«) aus den Siebzigern – und auch die Uhr, die Theo mir ans Herz gelegt hatte, besitze ich inzwischen: eine Glashütte Spezichron. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich sie sehe, wie über einen kleinen Schatz.
Ich weiß: Ich bin fast im Midlife-Crisis-Alter; ich bin nicht reich genug für Motorräder, aber ich kaufe auch alte Schallplatten. Aber bei Uhren geht es mir nicht um Statussymbole. Alle meine Uhren sind nicht berühmt. Oder gar besonders wertvoll. Mir ging es erst einmal darum, mit möglichst wenig Geld und Risiko herauszufinden, ob das mit den Uhren nur ein Spleen ist. Und welche Uhren zu mir passen könnten. Wie sie sich anfühlen, anhören. Ich bin kein Sammler, und ich werde auch kein Sammler werden. Was ich aber inzwischen sagen kann: Ich mag alte Uhren, neue Uhren interessieren mich kaum. Uhren aus den Siebzigern, die fesseln mich. Vielleicht, weil solche Uhren die Erwachsenen getragen haben, als ich Kind war. Vielleicht, weil sie aus einer Zeit stammen, in der für mich alles gut war. Und bestimmt, weil sie eine Geschichte haben, ein Vorleben – und damit ein Geheimnis, von dem ich nie etwas erfahren werde. Ich habe im vergangenen Jahr ein Buch geschrieben, »Was von uns übrig bleibt« heißt es – und all diese Uhren sind Übriggebliebene. Jemand hat sie getragen, jemand hat dort den kleinen Kratzer reingemacht oder hier diese Schramme. Wer? Vielleicht ein Spion! Jetzt sind sie bei mir, und ich darf mir ihre Vergangenheit ausdenken. Es sind Fantasieobjekte und gleichzeitig ganz reale Gegenstände, mit ihrer eigenen Schwere, ihrem eigenen Sound. Ich mag ihre unbeirrbare Gegenständlichkeit: dass sie immer sie selbst sind. Auf ihnen läuft keine App, die sie mit einem Tipp zur Spielkonsole, Navigationssystem oder Pulsmesser werden lässt – sie sind Uhren. Und wenn sie über die Woche etwas vor- oder nachgehen, finde ich das nicht schlimm, so was kommt mit dem Alter. Ich habe ja mein Smartphone, wenn es auf die Sekunde ankommt.
Bald treffen Theo und ich uns wieder, und dieses Mal hätte ich ein Uhrenthema. Ich hätte gern ein paar schönere Armbänder für die Uhren, die ich gekauft habe. Der gute Theo hat bestimmt Tipps, denn die hat er immer. Er hat mich sogar gestoppt, als ich zu eifrig neue Uhren ersteigert habe. Pause machen, hat er gesagt. Genießen. Und wertschätzen, was man hat. Zeit verstreichen lassen. Sich vorfreuen. Und sich informieren. Richtig so. Und da wir ausgemacht hatten, dass ich mich in keine neue Uhr mehr verliebe, bis ich diesen Text für ihn geschrieben habe, darf ich gleich auch wieder mit Vorfreuen beginnen. Ich bin sehr gespannt, welche Uhr meine nächste sein wird. Und wenn alles gut geht: welche ich tragen werde, wenn Theo und ich in zehn Jahren vielleicht wieder endlos am Elbstrand sitzen und nur unsere Schatten mitbekommen, wie die Zeit vergeht.