Interview mit Helmut Sinn – Teil 1

(Lesezeit: 4 Min.)

Nach dem einleitenden Artikel, hier nun das Interview mit Helmut Sinn:

Herr Sinn, ich konnte mich heute Morgen nicht entscheiden, welche Uhr ich zu diesem Treffen umbinden soll: Eine Sinn 103, die 2009 und damit gut 15 Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Unternehmen gebaut wurde – oder diese alte Speedmaster hier. Was halten Sie von meiner Wahl?
„Gut. So eine Uhr, und einige weitere, habe ich selbst in meiner Sammlung gehabt und auf meiner Webseite verkauft.“

Und welche Uhr tragen Sie selbst?
„Einen Chronosport World Timer Chronograph – mit zweiter Zeitzone. Meine Tochter lebt in Kanada. So weiß ich immer wie spät es dort ist. Vor allem wenn wir miteinander telefonieren wollen.“

Sie haben in den letzten fünf Jahrzehnten viele Uhren geschaffen. Wenn heute jemand eine echte „Helmut Sinn Uhr“ kaufen wollte. Welche wäre das?
„Ich muss sagen, dass es eine echte Helmut Sinn Uhr heute gar nicht mehr gibt. Denn die Theorie  und die Grundsätze, die ich damals in meine Uhren steckte, nämlich die bestmögliche Qualität zum denkbar niedrigsten Preis anzubieten, sind heute nicht mehr zu erkennen. Dass eine Uhr wie zum Beispiel die Sinn 103 heute das Zehnfache (er betont es laut und deutlich) von den damaligen Preisen kostet, entspricht nicht mehr meinem Grundsatz. Selbstverständlich ist im Laufe der Jahre alles teurer geworden – aber solche Verteuerungen und Preise sind vollkommen unbegründet. Wenn ich diese Uhren heute machen würde, dann würde ich sie natürlich auch nicht mehr für 220 Mark oder Euro verkaufen… Aber, sagen wir mal, unter 1.000 Euro.“*

   

WZU5

Gibt es eine Uhr oder ein Uhrenkonzept, auf das Sie besonders stolz sind?
„Ja, die Guinand Weltzeituhr WZU-5. Es ist noch immer die einzige Uhr, bei der man fünf Uhrzeiten getrennt voneinander einstellen und Halbstunden-Zeitzonen wiedergeben kann – wie man sie zum Beispiel in Indien und einigen weiteren Ländern findet. Bei anderen Uhren, die man als Weltzeituhren verwendet, kann man vielleicht die Stunden vor oder zurückdrehen, verändert damit aber auch gleich alle anderen Uhrzeiten. Bei meiner Weltzeituhr lässt sich jede der fünf Uhrzeiten einzeln einstellen. Sie ist in erster Linie als Börsenuhr konzipiert und kann die Uhrzeiten der Finanzplätze Tokio, Hong Kong, New York, London und Frankfurt gleichzeitig anzeigen.“

Dürfen wir mit weiteren neuen Konzepten rechnen? Haben Sie noch etwas in der Schublade?
„Ja, ich habe da etwas im Auge. Möchte aber nichts dazu sagen. Ich habe schon einmal etwas öffentlich angekündigt und schon hat es jemand anderes gemacht. Wenn ich erst einmal damit auf dem Markt bin und jemand das mit mir zusammen macht, dann gern. Tatsächlich habe ich da noch einige Sachen, die, wohlweislich, nicht der Verschönerung von Uhren dienen, sondern funktionell sein sollen. Ein, zwei  Ideen die ich vielleicht einmal mit meinen guten Uhren-Kontakten und Partnern umsetzen werde. Da bin ich gerade in Gesprächen. Es wird sich alles demnächst entscheiden.“

Bleiben wir bei Ihren Kontakten. Sie haben nicht nur ihre eigenen Uhrenfirmen und Marken aufgebaut (Sinn, Jubilar, Chronosport, Guinand), sondern auch einer heute sehr bekannten Uhrenmarke Geburtshilfe geleistet. Sie waren gewissermaßen der Mentor von Bell & Ross. Wie kam es dazu?
„Das ist richtig. Ich habe Bruno Bellamich und Carlos Rosillo 1992 geholfen, ihre ersten Uhren auf den Markt zu bringen. Sie kamen damals mit recht extravaganten Ideen zu mir, und ich merkte schnell, dass es nicht meine Richtung war. Aber ich wollte ihnen helfen und so produzierten wir einige meiner damaligen Modelle unter dem Namen „Bell & Ross by Sinn“.  Vor allem für den französischen Markt, den wir so  gemeinsam erschließen wollten. Danach gingen sie ihren Weg.“

Haben Sie heute noch Kontakt zu den beiden Firmengründern?
„Im Herbst 2012 haben mich die beiden nach Paris eingeladen. Inklusive Flug, Hotel, Limousine und so weiter. Die haben sich das richtig was kosten lassen… Der Grund war: Carlos Rosillo bekam im Pariser Invalidendom feierlich den Orden „Ritter der Ehrenlegion“ verliehen. Und ich war eingeladen und dabei. In seiner Rede dankte er mir und würdigte mich ausdrücklich als einen der Gründerväter. Eine schöne Geste.“

Sie haben sogar Kontakte in die Raumfahrt. Stimmt es, dass die deutschen Astronauten Furrer, Ewald und Flade die Uhren für ihre D1 Space Shuttle Mission nicht geschenkt bekamen, sondern bei Ihnen kaufen mussten?
„Natürlich.“

Aber sie haben ihnen Rabatt gewährt?
„Na gut. Sie haben 25 Prozent bekommen. Sie haben gesagt, dass sie eine Uhr umsonst haben wollen. Da habe ich gesagt, dann kriegt Ihr keine. Kauft Euch eine. – Wissen Sie, es ist mein Stil. Und es war immer meine Lehre: Keiner, der nicht an der Uhr mitgearbeitet hat, damit sie gut und preiswert wird, hat das Recht, eine Uhr umsonst zu kriegen.“ (Reinhard Furrer mit seiner Sinn bei der Space Shuttle Mission)

In dem DVD-Dokuportrait „Die Zeitmaschine“, eine Art Biographie, sprechen Sie in einem anderen Zusammenhang  von „Schmarotzern“, die an Uhren Geld verdienen, obwohl sie nichts für die Ware tun. Gibt es davon zu viele in der Uhrenbranche?
„Ja. Darum habe ich meine Uhren immer im Direktvertrieb verkauft. Ohne Händler zwischen mir und dem Kunden, ohne kostspielige Werbung und unnötiges Marketing mit angeblich hundertausende Euro teuren Normen und Zertifikaten. Auch habe ich nie Uhren an hunderte von Leuten verschenkt oder teure Feste gefeiert. Was da heute in Saus und Braus betrieben wird und die Preise der Uhren nach oben treibt, ist unseriös. Vor allem dem Uhrenkäufer gegenüber.“

 

Fortsetzung: Im zweiten Teil des Interviews spreche ich mit Helmut Sinn über Quarzuhren, das Uhrensammeln und vieles mehr.

 

*Dieses Interview fand Ende 2012/Anfang 2013 statt. Es handelt sich also nicht um eine aktuelle Aussage von Herrn Sinn. Dies gilt es zu berücksichtigen, da mechanische Uhren- und Werkpreise seit einigen Jahren rasant und in immer kürzen Abständen steigen.

Hier geht´s weiter: Helmut Sinn im Interview (Teil 2)