Interview mit Helmut Sinn – Vorwort

Helmut Sinn
(Lesezeit: 3 Min.)

Zusammengefasst: Helmut Sinn zu interviewen, ist ein echtes Erlebnis. Er ist Gründer und Namensgeber der Uhrenmarke Sinn, die er Mitte der 90er Jahre verließ. Ende 2012/Anfang 2013 hatte ich das Vergnügen, den damals 96-Jährigen persönlich zu treffen und später auch telefonisch rund um das Thema Uhren befragen zu dürfen. Resultat war ein Interview, das bei den Blog-Kollegen von worn & wound im März 2013 auf Englisch erschienen ist.

Damals hatte ich noch kein eigenes Blog. Das hat sich zwischenzeitlich geändert, darum veröffentliche ich hier nun die deutsche Version inklusive Vorwort*. Viel Spaß!

Helmut Sinn und seine Uhren
Uhren von Sinn sind seit Jahrzehnten der Inbegriff für deutsche Flieger-Chronographen – funktional, von guter Qualität und Ablesbarkeit. Das kommt nicht von ungefähr, schließlich tragen die seit 1961 verkauften Armbanduhren eindeutig die Gene jener Borduhren, mit denen Firmengründer Helmut Sinn die Bundeswehr-Luftwaffe bereits in den 60er Jahren ausstattete. Damals gewann er mit seinen Borduhren eine Ausschreibung gegen den etablierten Uhrenhersteller Junghans. Zu finden waren, und sind, die Cockpit-Uhren unter anderem in Kampfjets wie dem Starfighter, Alpha Jet, Tornado und Eurofighter.

Der „Top-Gun-Effekt“
Die Piloten dieser Maschinen waren begeistert von den funktionellen, schnörkellosen Armbanduhren,  die Sinn herstellte. Die Qualität der Chronographen und die Marke Sinn sprachen sich in der Fliegerwelt schnell herum. Eine bessere und günstigere Werbung konnte sich Helmut Sinn, selbst begeisterter Pilot und ehemaliger Fluglehrer beim Militär, nicht wünschen. Konsequent setzte er in den nachfolgenden Jahren auf den „Top Gun“-Effekt und die Faszination der modernen Kampffliegerei – Jahrzehnte bevor der Film überhaupt in die Kinos kam und für einen beachtlichen Marketing-Hype sorgte.

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Erster automatischer Chronograph im All
Sogar deutsche Astronauten trugen bei ihren Space Shuttle Missionen Sinn-Uhren. Eine Sinn 141 S war 1985 der erste automatische Chronograph im All. Bis dahin traute man Automatikuhren nicht zu, dass sie akkurat in der Schwerelosigkeit funktionieren. Sinn bewies das Gegenteil.
Zum Erfolg der Marke Sinn trug aber auch der Faktor Preis bei. Helmut Sinn blieb stets seinem Grundsatz treu „Die beste Qualität – zum denkbar niedrigsten Preis.“ So wie seine Uhren konzipiert waren, so war es auch sein Geschäftsmodell: Alles, was unnötig war und unangemessene Kosten verursachte, ließ er weg. Dazu gehörten vor allem Zwischenhändler, kostspielige Werbung und Marketing. Er wollte nie, dass seine Kunden für so einen „Unfug“ und wegen „schmarotzender Zwischenhändler“ einen unnötig höheren Uhrenpreis bezahlen mussten. Er verkaufte seine Uhren im Direktvertrieb und setzte auf bewährte Mundpropaganda. Das Konzept ging auf – seine Kunden dankten es ihm. Sie wussten die Qualität zum günstigen Preis jahrzehntelang zu schätzen.

Und heute?
Heute sieht es anders aus. Spricht man Helmut Sinn auf die Firma an, die noch immer seinen Namen trägt – jedoch seit Mitte der 90er nicht mehr ihm gehört -, dann schüttelt er den Kopf. Und das ist noch die harmloseste Reaktion… Es ist ihm ein Gräuel, zu sehen, was aus seiner Firma geworden ist, seitdem ein ehemaliger IWC-Manager und Ingenieur das Geschäft übernommen hat. Vor allem was die „guten Preise“ angeht, hat die neue Firma Sinn nach seinem Empfinden einen wesentlichen Teil des ursprünglichen Markenkerns eingebüßt.
Preiserhöhungen gibt es marktbedingt natürlich immer in der Uhrenbranche – bei Sinn liegen sie heute durchschnittlich bei zehn Prozent pro Jahr und haben dazu geführt dass, die 1.000-Euro-Marke bereits vor Jahren überschritten wurde. Dafür findet man zunehmend mehr Uhren, die zwischen 2.000 Euro und über 4.000 Euro liegen (z.B. EZM-10). Dies wird vor allem mit technischen Innovationen begründet. Die Notwendigkeit dieser technischen Innovationen, Normen, Zertifikate und den einhergehenden Preisanstiegen zweifelte Helmut Sinn im Gespräch jedoch mehrfach an.

Die preislich moderaten Klassiker sterben langsam aus
Eine weitere Auffälligkeit: Sinn-Klassiker wie beispielsweise die 144 GMT St (2011 noch ab 1.550 Euro) werden in ihren preislich moderaten Versionen offenbar aus dem Programm genommen, ins Online-Archiv geschoben (ohne Preisangabe) und durch um mehrere hundert Euro teurere, technisch aufwändigere Versionen ersetzt (in diesem Fall 144 GMT Diapal – ab ca. 2.300 Euro). Einen ersichtlichen Grund, warum Sinn gezwungen sein könnte, diese „günstigeren“ Klassiker verschwinden zu lassen, gibt es nicht wirklich. Man kann ihn höchstens vermuten. In deutschen Uhren-Foren werden die regelmäßigen Preiserhöhungen, pünktlich zum September, heiß diskutiert. Die einen ärgern sich über die hohen Neupreise, die anderen freut es, dass ihre Vintage-Modelle so jährlich an Wert gewinnen.
Viele alte Sinn-Kunden scheinen in den letzten 20 Jahren abgesprungen und durch eine neue, zunehmend zahlungswilligere Klientel ersetzt worden zu sein. Die „neue“ Marke Sinn ist, so hat es den Anschein, auf dem Weg zum Luxus-Label. Helmut Sinn bestätigt dies, wenn man ihn darauf anspricht – nicht ohne ein beachtliches Maß an Empörung.

Vor diesem Hintergrund fand das Interview mit dem damals 96jährigen Helmut Sinn statt – persönlich bei einem Treffen in Frankfurt und einige Tage später in Form eines Telefoninterviews. Helmut Sinn ist ein echter Unruheständler und für viele das wohl älteste „enfant terrible“ der Uhrenbranche. Er sprach mit mir über Uhren, Preise, Wert, über seine alte und neue Firma und über die Weltzeituhr (WZU-5) seiner 1996 erworbenen Firma Guinand. Er erzählte mir außerdem, wie es dazu kam, dass er einer der Gründerväter der Uhrenmarke Bell &  Ross wurde und die ersten Uhren für Bruno Bellamiche und  Carlos Rosillo produzierte.

Und natürlich gelang es Helmut Sinn, noch immer tüchtiger Geschäftsmann, mir eine Sinn-Uhr aus seiner Sammlung zu verkaufen. Aber das ist eine andere Geschichte…

Hier geht´s weiter: Helmut Sinn im Interview (Teil 1) 

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*aktualisiert und leicht gekürzt