Die Titan-Uhr – sie scheint die Gemüter zu spalten. Das „graue Metall“, das bevorzugt im Flugzeugbau, in der Medizin und vielen weiteren High-Tech-Bereichen zum Einsatz kommt, ist rund 40 Prozent leichter als Stahl – und dabei ähnlich widerstandsfähig. Und obwohl viele (technische) Eigenschaften für Titan sprechen, fristet es dennoch bei vielen Uhrenfreunden ein Schattendasein. Zumindest noch. Klar, man kennt es seit langem als Material für Uhrengehäuse. Doch nicht allzu viele scheinen sich so richtig dafür begeistern zu können. Der Marktanteil an Titan-Uhren dürfte, trotz einer gewissen Präsenz im Handel, eher niedrig ausfallen. Die meisten Uhrenkäufer greifen nach wie vor zu Stahluhren. Doch warum ist das so? Liegt es am höheren Preis?
Titan-Uhren – was dürfen sie kosten?
An dem so oft zitierten höheren Preis des Materials und der aufwändigen Verarbeitung kann es eigentlich nicht liegen. Schließlich bekommt man Uhren mit Titangehäuse um bzw. sogar unter 100 Euro.
Die deutsche Uhrenmarke Boccia, eine Tutima-Tochter, macht es mit ihren erschwinglichen Uhren vor – hier ein Modell um 200 Euro auf amazon (Partnerlink/Werbung):
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Fun Fact am Rande: Angela Merkel soll eine Boccia Titanuhr tragen – angeblich das Modell 405-02 (Quelle: Tagesspiegel.de).
Wenn es etwas „cooler“ sein darf: Die hier im Blog vorgestellt Uhrenmarke Bertucci zeigt mit ihren Outdoor-Uhren bzw. Field Watches ebenfalls, dass Preise im Bereich von 100 bis 200 Euro Euro kein Hexenwerk sind.
Foto: amazon – Partnerlink/Werbung
Tipp: Weitere erschwingliche Titan-Uhren – meist im zwei bis dreistelligen Bereich – findet Ihr in dieser amazon-Liste. Und in diesem Artikel zum Thema Microbrands. Zum Beispiel die Marken Spinnaker, Boldr oder RZE:
Oben: RZE Resolute – Microbrand-Uhren aus Titan
Gut, natürlich gibt es auch das andere Extrem, das diverse Uhrenmarken bedienen, indem sie mit viel Marketing Titan-Uhren zu Luxusobjekten in fünfstelliger Höhe erklären. So wie Omega mit dieser Seamaster Aqua Terra „Ultra Light“ für 46.000 Euro 53.600 Euro 56.800 Euro (Update 2024):
Bei der sogar das Werk (Handaufzug) aus Titan ist:
Oder diese James Bond Uhr namens Omega Seamaster Diver 300M 007 Edition für 9.000 Euro 10.000 Euro 10.900 Euro (Update 2024) aka mit der „Lizenz zum Gelddrucken“ ;)
Dazu: Großartiges Design, keine Frage. Der Preis bereitet mir allerdings ordentlich Bauchschmerzen (siehe auch). Zum einen zahlt man hier kräftig für die Bond-Lizenz drauf, zum anderen verwendet Omega hier kein „Grade 5“-Titan, das bei (Luxus-)Uhren als die beste Option gilt bzw. man in dieser Preiskategorie erwarten dürfte. Stattdessen setzt man auf das etwas „mindere“ Grade 2. Dazu aber später noch mehr.
Die Titan-Uhr: Edel, robust und zu leicht?
Kommen wir zurück zu der Frage, warum Stahluhren nach wie vor populärer sind als Titan-Uhren. Es dürfte weniger am Preis, sondern eher am Gewicht liegen. Richtig gelesen. Der große Vorteil von Titan ist gleichzeitig auch das, was den durchschnittlichen Uhrenträger (mich eingeschlossen) erst einmal ordentlich irritiert – und so manchen vom Kauf abhalten dürfte. Denn: Wer bisher nur Stahluhren getragen und deren Gewicht gewissermaßen verinnerlicht hat, der wird beim ersten Anlegen einer Titanuhr feststellen, dass sie ungewohnt bis grotesk leicht ist.
Und ob man will oder nicht, bei einem zu geringen Metallgewicht denkt man zwangsläufig: „Die kann nichts wert sein“. So mancher wird denken, dass er einfach nur ein Stück Aluminium am Handgelenk trägt. Das ist zwar offiziell leichter als Titan, am Arm fühlt es sich im ersten Moment aber genau so an.
Die steile These lautet: Wir sind regelrecht darauf konditioniert, dass schwere Uhren einen höheren Wert haben (z.B. schwere Rolex aus Stahl oder Gold) und leichte Uhren (z.B. Swatch-, Casio-Uhren aus Plastik) einen niedrigeren. Und mit einem so leichten und dennoch widerstandsfähigen Metall wie Titan muss unser Hirn erst einmal klarkommen :)
Im Vergleich:
Um es noch noch anschaulicher zu machen: Ich besitze die Casio MR-G (MRG-100), die erste G-Shock komplett aus Metall, in zweifacher Ausführung – in Stahl und Titan:
Die Stahl-Uhr seht Ihr links, das Titan-Modell rechts. Beide habe ich auf meine Küchenwaage gelegt.
Das Ergebnis: 138 Gramm vs. 88 Gramm. Macht in diesem Fall eine Differenz von 50 Gramm. Das ist mal eben eine halbe Tafel Schokolade ;)
Oder etwas seriöser: 36,23 Prozent Gewichtsunterschied. In der Welt der Uhren ist das beachtlich.
Und wie fühlt es sich am Arm an? Glaubt mir, eine Metall-Uhr, die deutlich unter 100 Gramm wiegt, fühlt sich verwirrend leicht an. Erst recht, wenn man den direkten Vergleich zur baugleichen Stahluhr hat. Das muss man mögen. Ich muss aber auch sagen, dass ich mich recht schnell daran gewöhnt habe und sich Titan insgesamt sehr angenehm trägt.
Kurzum: Eine Titan-Uhr ist nicht für diejenigen geeignet, die auf der Suche nach einer massiv-schweren und in ihren Augen „wertigen“ Uhr sind, die ordentlich am Handgelenk zieht. Titan-Uhren sind das exakte Gegenteil. Sie sind Leichtgewichte. Und auch sonst eher für recht spitze Zielgruppen gedacht. Allergiker zum Beispiel. Was ich damit meine, wird deutlich, wenn wir uns die Vor- und Nachteile von Titan genauer anschauen.
Titan vs. Stahl: Welche Vorteile, welche Nachteile?
An dieser Stelle könnte ich Euch mit Zahlen, Daten und Fakten zum Thema Titan „erschlagen“ – man findet dazu reichlich im Netz. Leider auch viel Widersprüchliches, Ungenaues und Undifferenziertes, da es Titan in verschiedenen Graden bzw. Legierungen gibt. (Wer nach dem Lesen dieses Artikels etwas Ergänzendes und Konstruktives dazu beitragen kann – inklusive verlässlicher (!) Quellen. Gern in den Kommentaren).
Konzentrieren wir uns also erst einmal auf die wichtigsten Eigenschaften, Vor- und Nachteile von Titan – mit der einen oder anderen Anmerkung.
Die Vorteile im Überblick:
- Rund 40% leichter als Stahl – bei gleicher (Zug-)Festigkeit
- Antiallergisch – Titan-Uhren sind nickelfrei und damit ideal für alle, die unter einer Nickel-Allergie leiden. Wichtig: Natürlich sollte dann auch der Gehäuseboden aus Titan sein. Zumindest aber nickelfrei.
- Generell hat Titan eine hohe Biokompatibilität (Wikipedia) – d.h. unser Körper kommt mit diesem Metall sehr gut zurecht. Entsprechend kommt es im medizinischen Bereich zum Einsatz (Zahnimplantate, künstliche Gelenke, Herzklappen etc.).
- Titan ist antimagnetisch (bzw. amagnetisch) – das ist gut, denn Magnetfelder können die Ganggenauigkeit einer Uhr beeinflussen. Je weniger magnetisches Material an einer Uhr, desto besser. Zumindest theoretisch. Denn neben dem Gehäuse (und Zifferblatt) sollten vor allem die dafür anfälligsten Teile des Werkes amagnetisch konzipiert (z.B. Spirale), mit einem Weicheisenkern (Wikipedia) geschützt oder gleich das ganze Werk aus Titan sein (s.o. Omega „Ultra Light“).
Ob ein Titangehäuse allein schon ausreicht, um von einer amagnetischen Uhr zu sprechen – ich habe da meine Zweifel. Auch wenn das von manchem Hersteller das gern mal so darstellt oder andeutet.
- Hohe Korrosionsbeständigkeit – egal, ob Meerwasser, organische Säuren oder Chloridlösungen, Titan bzw. seine Legierungen zeigen sich ziemlich unbeeindruckt und widerstandsfähig. Das gilt auch für Schweiß. Der Grund hierfür ist eine dünne Oxidationsschicht (Passivierungsschicht – Wikpedia), die hervorragend vor weiterer Korrosion schützt. Nimmt sie Schaden, bildet sich automatisch eine neue „passivierende“ Schicht. Titan weist also eine Art „Selbstheilung“ und -schutz auf. Ein bemerkenswertes „Feature“ dieses Metalls.
Kommen wir zu den Nachteilen. Die muss ich leider etwas ausführlicher erörtern bzw. kommentieren.
Die Nachteile:
Der (überzogene?) Preis
Titan ist teurer als Stahl. Das stimmt. Dazu muss man aber auch sagen, dass Stahl als Werkstoff wirklich sehr günstig ist. Entsprechend häufig kommt er zum industriellen Einsatz. „Teurer als Stahl“ ist hier immer in Relation zu betrachten. Wir sprechen keineswegs von Preisen wie bei Gold, Silber & Co. – auch nicht bei den Titan-Legierungen. Und selten ist Titan ebenfalls nicht. Es ist das neunthäufigste Element in der Erdkruste (s. Wikipidia).
Richtig ist aber auch, dass die Gewinnung bzw. Herstellung von Titan aufwändig ist und wohl reichlich Energie erfordert. Weitere Kosten kommen beim aufwändigeren Bearbeiten hinzu. Titan ist nun mal ein anspruchsvolles Metall. Und dennoch: Aus Titan kann man heutzutage nahezu alles produzieren – zum Beispiel Campingbesteck und Geschirr ab 20 Euro oder die oben bereits vorgestellten Titan-Uhren im zwei- bis dreistelligen Bereich (siehe amazon-Liste). Es muss also nicht immer in Sachen Preis eskalieren.
Mein persönlicher Eindruck in diesem Zusammenhang ist ohnehin, dass so manche Uhrenmarke das „Titan ist teuer“-Argument bis zum Äußersten ausreizt. Mein Tipp lautet darum: Achtet genau darauf, was Euch Hersteller hier erzählen. Und setzt die Preise immer in Relation. bzw. hinterfragt sie kritisch. Und wenn eine Titanuhr mehr als eine vergleichbare Golduhr kostet, solltet Ihr ins Grübeln kommen. Spätestens dann ;)
Hart & kratzfest: Große Verwirrung und Mogelpackung? (Grade 2 vs. Grade 5)
Titan ist nicht gleich Titan – es kommt auf die Legierung an. Das ist bei Stahl nicht anders. Reintitan gibt es in verschiedenen Abstufungen (1 bis 4) und es ist im Vergleich zu Stahl nicht zwingend härter oder kratzfester. Im Gegenteil, es ist mitunter sogar weicher. Dies gilt zum Beispiel für Titan mit der Bezeichnung Grade 2 (99,7% Reintitan), das auch bei Uhren zum Einsatz kommt. Erst der Zusatz von weiteren Metallen macht es ähnlich hart wie Stahl – oder härter. Die für Uhren geläufigste Variante ist wohl Grade 5 – eine Titan-Legierung mit 6 % Aluminium, 4 % Vanadium (Ti-6Al-4V).
Wenn Luxusuhrenhersteller also die Vorteile von Titan loben und ihre Uhren mit mehreren tausend Euro bepreisen, dann solltet Ihr immer prüfen, welches Titan tatsächlich in ihren Produkten steckt. Grade 2 oder Grade 5?
Oder wie die Kollegen von ablogtowatch es zusammenfassen:
„For watches, the most common forms are Grade 2 and Grade 5 titanium. Grade 2 is “commercially pure” titanium and provides light weight and corrosion resistance but isn’t quite as strong as alloys like Grade 5. Grade 5, or Ti 6Al-4V, is titanium alloyed with 6% aluminum and 4% vanadium. The resultant alloy increases strength, as well as heat and corrosion resistance. In pricier watches, expect Grade 5.“
Bei günstigeren Titan-Uhren könnt Ihr also davon ausgehen, dass sie „nur“ Titangehäuse mit Grade 2 haben und mitunter schneller zerkratzen als Stahluhren.
Es sei denn, sie haben eine zusätzlicher Beschichtung oder andere Form der Oberflächenhärtung…
Titan-Uhren mit Beschichtung oder Oberflächenhärtung
In Frage kommen hier beispielsweise DLC (Diamond Like Carbon – Wikipedia engl.), PVD (Physical Vapour Deposition – Wikipedia), DiaShield (Seiko) oder Super Titanium (mehr dazu). Wenn Ihr also Uhren mit Titan Grade 2 und diesen Angaben findet, dann sind sie in Sachen Härte und Kratzfestigkeit wieder vorn dabei :)
Meine Titan-G-Shock (links) scheint nichts davon zu haben. Auf jeden Fall konnte ich einige Kratzer und Gebrauchsspuren auf dem mattierten Armband feststellen – aber auch auf der Stahlvariante (rechts, s. Lünette):
Soweit also dazu, was man über Titan-Uhren generell wissen sollte. Wie gesagt, wer auf konstruktive Art etwas ergänzen kann: Gern in den Kommentaren – und gern mit Quelle.
Wer noch nicht genug vom Thema Titan-Uhren hat – hier ein weiterführender Lese-Tipp:
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Aktualisierter Artikel – erstmals erschienen am 18. Februar 2021