(Kooperation – was heißt das?) Die Titoni Heritage Automatic. Oder: Wie man aus Retro-Design echtes Vintage-Feeling macht. – Es gibt Uhrenmodelle, die erinnern mich sofort an meine Anfangszeit als Vintage-Uhren-Sammler. Damals kaufte ich die guten Stücke günstig auf ebay und freute mich über das Design und die schönen Details der vergangenen Tage. Das war lange bevor der große Retro-Hype einsetzte – den ich natürlich sehr begrüßte. Schließlich bekommt man seitdem komplett neue Uhren und Technik in altem Gewand.
Allerdings heißt das noch lange nicht, dass diese Uhren dann auch den richtigen „Look and Feel“ mitbringen. Nun gut, den Look haben die meisten irgendwie – nur am richtigen „Feel“, daran mangelt es allzu oft. Und genau hier kommt die Dreizeiger-Uhr aus der Heritage-Kollektion von Titoni (Website) ins Spiel, die ich Euch heute vorstellen möchte. Denn: Selten hatte ich ein Retro-Uhr am Arm, die so nah an einer Vintage-Uhr war. Woran ich das genau festmache, dazu komme ich später noch. Schauen wir uns erst einmal kurz den Uhrenhersteller an, den einige von Euch sehr wahrscheinlich noch nicht kennen werden.
Titoni – über 100 Jahre (unter dem Radar?)
Wem die Uhrenmarke Titoni das erste Mal begegnet, der könnte glatt meinen, dass es sich hierbei um eine weitere neue Microbrand handelt – mutmaßlich aus Italien. Tatsächlich gibt es den Schweizer Hersteller (ursprünglich unter dem Namen Felco gegründet) mit Sitz in der Uhrenstadt Grenchen seit 1919. Alles andere als ein Newcomer also.
Und wer mit Grenchen nichts anfangen kann: Dort sitzen unter anderem Breitling, Fortis, Eterna, Porsche Design und die zur Swatch Group gehörende ETA. Das Umfeld passt also ebenfalls zu einem Unternehmen mit Tradition. Es verwundert allerdings, dass Titoni bei weitem nicht so bekannt ist – zumindest hierzulande.
Big in Asia
Anders in Asien: Dort scheint Titoni seit den 60er Jahren eine durchaus populäre und angesehene Uhrenmarke sein. Nicht zuletzt wegen des Labels Swiss Made. Damit nicht genug: Titoni ist zudem noch unabhängig und ein Familienunternehmen – über 100 Jahren im Besitz der Familie Schluep (mehr zur Historie – s. Website & Uhrforum).
Mit einem Mitglied dieser Familie, Olivier Schluep, hatte ich das Vergnügen, einen Video-Call zu führen. Während dieses Calls bat mich Olivier darum, dass wenn ich diese Titoni-Uhr vorstelle, ich aus meiner Sicht schildern solle, was mir daran gefällt und was nicht. So ein Feedback sei ihnen wichtig. – Nun gut, das tu ich ohnehin. Wer hier mitliest, weiß das. :) Aber es hat gleich mal eine ganz andere Qualität, wenn ein Hersteller nicht auf unreflektierte (!) Lobhudelei aus ist – was leider für die meisten gilt und von den meisten Uhrenblogs und Fachmedien auch bedient wird -, sondern echtes Feedback von einem Uhrenblogger erwartet. Hier gab es von meiner Seite schon mal den ersten Sympathie- und Respektpunkt :)
Was die Uhr selbst angeht: Da habe ich mir natürlich eine ausgesucht, die mir gefällt. Alles andere wäre auch ein wenig… dumm. Schließlich will ich ja auch Spaß an der ganzen Sache haben ;) Ihr werdet hier also recht viel Positives zu lesen bekommen – aber auch den einen oder anderen Mini-Kritikpunkt. Wovon aber keiner ein echter „Deal-Breaker“ für mich wäre.
Also, los geht´s.
Titoni Heritage: Unboxing – wenn das Auspacken schon Spaß macht
OK, die Uhrenboxen der Hersteller zeige ich hier in der Regel nicht. Schließlich geht es ja um die Uhren selbst und nicht um die Verpackung. Aber schaut Euch doch das mal an. – Wenn die Box schon in so einem edlen, satten Grün mit Holzmaserung kommt:
Herrlich, oder?
Nun aber zur Uhr – so war sie in der Box gebettet:
Ihr seht, die Titoni Heritage kam an einem Stahlband mit geraden Bandanstößen. Es gibt sie auch am Lederband. Allerdings wirkte das für mich auf der Website etwas zu dick und rustikal für diese doch recht filigrane 39-mm-Uhr:
Was Ihr ebenfalls seht: Man kann den Look dieser Uhr ziemlich schnell mit dem Wechseln des Bandes verändern. Und natürlich habe ich solange mit diversen Bändern rumprobiert, bis ich meine zwei Favoriten hatte.
Bevor wir aber zu den beiden Bändern kommen, schauen wir uns aber erst einmal die Variante am Stahlband an. So, wie sie sich der Hersteller gedacht hat:
Die Doppelfaltschließe:
Geöffnet:
Der Gehäuseboden – 50 Meter wasserdicht und mit Oldtimer-Gravur:
Die Bänder-Frage
Zum Stahlband: Es trägt sich wirklich angenehm, ließ sich problemlos kürzen und sogar das Wechseln war – trotz nicht vorhandener Schnellwechselstege (Quick Release) – überhaupt kein Problem. Tatsächlich war ich sogar positiv überrascht, wie unkompliziert es bei dieser Uhr bzw. diesem Band mit normalem Uhrenwerkzeug ging. Dafür auf jeden Fall einen Pluspunkt.
Was das Design des Bands angeht, so passt es natürlich mit den geraden Bandanstößen an eine Retro-Uhr, die sich an den frühen 50er Jahren orientiert. Wobei ich glaube, dass gerade Bandanstöße hier nicht jedermanns Sache sein dürften. Zumindest ist dies das Feedback, dass ich bei anderen Retro-Modellen aus der Uhren-Community mitbekommen habe. Für mich selbst fällt es in die Kategorie „OK“ – nicht mehr, nicht weniger. Und obwohl es sich angenehm trägt und an sich stimmig ist, hatte ich den Eindruck, dass das eine oder andere Band dann doch besser an diese Retro-Uhr passen könnte :)
Klassisch am Lederband – sportlich am Perlonband
Zum Beispiel ein schwarzes Lederband, das die Farben des Zifferblatts und den roten Sekundenzeiger etwas stärker hervorhebt. Etwas mehr Kontrast schadet hier nicht – ganz im Gegenteil:
Oder: Ebenfalls sehr retro – ein schwarzes Perlon-Band, falls es etwas sportlich-sommerlicher und wasserfest sein darf:
Und ein wenig Werbung in eigener Sache: Falls Euch die beiden Bänder oben gefallen, Ihr bekommt sie im ZEIGR-Shop. Sowohl das schwarze Lederband „All Black“ als auch das schwarze Perlonband von Eulit namens Kristall (16,50 Euro). Zwar habe ich noch weitere aus meinem Sortiment ausprobiert (z.B. die diverse Tropicals), als beste Option für speziell diese Uhr und an meinem Handgelenk erwiesen sich aber diese beiden Modelle.
Wer sich etwas traut, der kann natürlich auch Nato-Bänder ausprobieren – zum Beispiel an braunem Leder:
Und auch hier zeigt sich: Diese Dreizeiger-Uhr von Titoni ist ziemlich wandlungsfähig. Was ich übrigens nicht gedacht, da das weiße Zifferblatt mit seinem Retro-Design das nicht wirklich vermuten lässt. Tatsächlich kann man sich hier aber mit Uhrenarmbändern reichlich austoben :) Von edel an Stahl, über Dresswatch am Lederband bis hin zu „rough-retro“ geht einiges.
Kommen wir aber nun zu dem, was die Titoni Heritage Automatic in meinen Augen am meisten ausmacht: Das Design bzw. das gesamte Vintage-Konzept dieser Uhr.
Vintage-Design at its best – Titoni Heritage Automatic (Ref. 83019 S-639)
Da wäre zum Beispiel das kurvenreiche Gehäuse, das mit seiner geschwungenen und polierten Flanken bzw. seitlichen Vertiefungen einfach mal eine Augenweide ist. Ein derartiges Gehäuse-Design sehe ich in dieser Form zum ersten Mal. Und es gibt dieser Titoni Heritage einen sehr eigenen Charakter – bei gleichzeitig hohem Maß an Understatement. Genau mein Ding.
Und dann ist da natürlich noch das Retro-Zifferblatt mit dem Blumen-Logo (eine stilisierte Meihua – chin. Pflaumenblüte), das mich ein wenig an die „Big Rose“ alter Tudor-Modelle erinnert bzw. heute noch auf der Tudor-Krone zu finden ist:
Hinzukommen der rote Sekundenzeiger und die Aufschrift 26 Jewels, die für die Anzahl der Lagesteine im Werk steht. Das macht man heute kaum noch, bei Vintage-Uhren war es aber Gang und Gäbe. Nichts zuletzt, weil die Anzahl der Lagersteine früher ein Zeichen von (vermeintlich) hoher Qualität war.
Aber ein echtes Highlight in Sachen Vintage-Details – zumindest für mich – sind die gebogenen Zeiger bzw. deren gebogenen Enden:
Sie passen sich der Wölbung des Zifferblatts perfekt an (und nein, das ist nicht auf die Brechung des Lichts am gewölbtem Saphirglas zurückzuführen) und zeigen mir, dass diese Uhr nicht einfach mal so „zusammengekloppt“ wurde, sondern, dass da wirklich jemand Uhren und seine Arbeit liebt. Wer auch immer bei Titoni dafür verantwortlich zeichnet: Danke! Denn es gibt Uhrenfans, die solche kleinen Details sehen, lieben und sehr zu schätzen wissen. Ich gehöre auf jeden Fall dazu – und freue mich jedes Mal darüber.
Wie aus einer Zeitkapsel geholt…
Obwohl ich weiß, dass im Inneren dieser Titoni ein neues Werk (Sellita SW200-1) schlägt, diese Uhr kein Plexiglas, sondern ein doppelt gewölbtes und verspiegeltes Saphirglas hat und wahrscheinlich in den letzten 12 Monaten produziert wurde, habe ich dennoch den Eindruck, eine waschechte Vintage-Uhr zu tragen. Sie könnte genauso gut NOS sein (New Old Stock).
Oder etwas ausgeschmückter: Stellt Euch vor, ein Uhrmacher hätte eine solche (ungetragene) Uhr vor ein paar Jahrzehnten in eine Schublade gelegt, dort vergessen und man ist der Glückliche, der sie unversehrt gefunden hat und nun wie neu am Arm tragen kann. Solche Assoziationen kommen mir, wenn ich auf die Titoni Heritage Automatic schaue. Kurzum: Diese Uhr bereitet mir als Vintage-Fan einfach mal große Freude.
Preis & Fazit:
Kommen wir zum Preis. Der liegt bei rund 1.000 Euro. Etwas genauer: Wenn Ihr Euch für die Variante mit Metallband entscheidet, dann sind es 1.050 Euro, am Lederband sind es 1.005 Euro (inkl. Versand & Mwst). Wenn Ihr mich fragt, dann würde ich immer die Variante mit Metallband nehmen. Das ist in meinen Augen nahezu immer der bessere Deal. Zumal ein Metallband „ewig“ hält – im Gegensatz zu einem Lederband. Und ein Metallband nachkaufen, kann mitunter ein teurer Spaß werden. Man kennt es ja von anderen Uhrenmarken. Aber wie gesagt, die Uhr ist sehr wandlungsfähig, das Wechseln und Ausprobieren von anderen Bändern ist hier fast schon Pflicht :)
Bleibt noch das Fazit: Ihr könnt es Euch sicherlich denken. Es fällt rundum positiv aus. Einzig die Bänder, die Titoni mit dieser Uhr anbietet, konnten mich nicht zu 100% überzeugen. Hier könnte man sich noch die eine oder andere Alternative bzw. Update überlegen (@Titoni – siehe meine Serviervorschläge oben ;)). Aber ich habe es schon an anderer Stelle geschrieben: Das Band sollte definitiv nicht der ausschlaggebende Faktor sein, ob man ein Uhr kauft oder nicht. Bänder lassen sich wechseln. Wenn der Rest und der Preis stimmt: „Go for it“ :)
Ach ja, zum Preis noch. Da wird so mancher nun sagen, dass rund 1.000 Euro nicht gerade wenig Geld für so eine Dreizeiger-Uhr von einem (zumindest im Westen) kaum bekannten Hersteller sind. So manche Microbrand verlangt nur die Hälfte für eine Retro-Uhr.
Ja, das mag stimmen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass wir hier eine Schweizer Uhr vor uns haben, die – nach meinem Empfinden und meiner Erfahrung – jede Microbrand weit in den Schatten stellt. Dazu muss man diese Uhr einfach nur anlegen und sich im Detail anschauen. Dann weiß man sofort, warum eine Microbrand-Uhr nur die Hälfte kostet – nicht zuletzt wegen der oft verwendeten japanischen Werke. Was vollkommen OK ist – wir sprechen hier nur von zwei verschiedenen (Qualitäts-)Ansprüchen.
Wer also etwas höhere Ansprüche hat, sich eine gelungene Retro-Uhr mit viel Liebe zum Vintage-Detail und reichlich Understatement wünscht, der fährt mit den rund 1.000 Euro für die Titoni Heritage schon ziemlich gut. Wer sie, wie und warum auch immer, noch günstiger bekommt: Glückwunsch!
Soweit also meine Eindrücke und Erfahrung mit der Titoni Heritage Automatic.
Wer sich die gesamte Heritage-Kollektion inkl. Chronographen anschauen möchte, findet sie auf der Titoni-Website.
Die wichtigsten Daten im Überblick:
Referenz: 83019 S-639
Werk: Automatik Sellita SW200-1
Gehäuse: Edelstahl
Durchmesser: 39 mm
Lug-to-Lug (Länge): ca. 49 mm
Höhe: 11,9 mm
Glas: Saphir, beidseitig gewölbt & entspiegelt
Wasserdichtigkeit: 50 Meter (5 ATM)
Preis: ab 1.005 Euro
Lese-Tipp:
Sehr schöner Beitrag und Uhrenvorstellung im Uhrforum zum dunklen „Schwester-Modell“ mit Two-Tone-Zifferblatt: Eiscafé oder Nudelgericht? Nein, Uhr! Meine Titoni Heritage Two-Tone und eine kleine Firmengeschichte