Watch Wars: Swatch vs. Apple – von Ex-Trendsettern, Smart Watches & Uhren für Nicht-Jedermann

(Lesezeit: 4 Min.)

Einer der häufigsten Sätze, den ich als Uhrensammler und Uhren-Blogger höre: „Ich brauche keine Uhr. Wenn ich wissen will, wie spät es ist, dann schaue ich auf mein Handy.“

Tatsächlich gibt es viele dieser Uhrenverweigerer. Man muss sich nur umschauen. Vor allem jüngere Menschen sehen keinen Grund mehr, sich jeden Morgen eine Uhr ans Handgelenk zu binden. Sie haben ihre Uhr lieber in der Tasche – in Form eines Handys, das eh immer dabei ist. Oder anders:

Das Smartphone ist zu einer modernen Variante der Taschenuhr geworden.

Überhaupt sind Uhren – ganz im Gegensatz zu Smartphones – kein omnipräsentes Thema mehr. Weder in den Medien noch im Alltagsgespräch. Man wird eher hören „Ist das das neue iPhone?“ als „Ist das die neue Uhr von XY?“. Doch erinnern wir uns zurück an den Hype, die Kauf- und Sammelwut, die Swatch Anfang der 80er auslöste und bis in die 90er Jahre halten konnte. Nun, so ein ähnlicher Hype könnte demnächst wiederkehren. Er wird jedoch nicht von dafür prädestinierten Uhrenmarken wie Swatch eingeläutet, sondern von branchenfremden Konzernen wie Apple, LG, Samsung & Co. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es in wenigen Monaten heißen wird: „Ist das die Apple Watch?  Darf ich mal sehen?“.

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Gewiss, es gibt da noch die vielen Luxusmarken, die mit noblen Anzeigen und Gesichtern gut bezahlter Hollywood-Stars in Magazinen und Zeitungen Präsenz zeigen – und um Besservierdiener werben. Doch was ist mit der Trend-Uhr für jedermann – die sich weltweit millionenfach verkauft? Der „Must-have-Uhr“? Wer sind die legitimen Nachfolger von Swatch, G-Shock & Co.? Und überhaupt, was ist mit Swatch?

Swatch, Swatch Chrono & Withings
Swatch, Swatch Aqua Chrono, Withings Activité Pop

Swatch: Früher Rebell – heute gesetztes Uhren-Imperium 

Die Antwort darauf könnte überraschen: Swatch, genauer die Swatch Group, macht mittlerweile in Luxusuhren. Der Hersteller der Plastikuhren aus den 80ern ist im Laufe der letzten 30 Jahre zu einem den Uhrenmarkt bestimmenden Luxusunternehmen geworden. Mit Marken wie Omega, Glashütte Original, Breguet, Blancpain und Longines im Portfolio konzentriert sich das Unternehmen auf hochpreisige Uhren für Nicht-Jedermann. Vor allem der asiatische Raum beschert den Schweizer Luxusuhrenherstellern seit mehr als zehn Jahren einen veritablen Boom und beachtliche Umsätze.

Zwar bedient die Swatch Group auch das mittlere und untere Preissegment mit Marken wie Tissot, Certina, Calvin Klein Watches und Swatch – doch das Hauptaugenmerk liegt hier schon lange nicht mehr. Gut, Swatch hat in der Vergangenheit mit einigen Konzepten, illustren Ideen und mitunter verstörenden Uhrendesigns gespielt. Doch der „Big Hit“ für die Masse? – Eher nicht. Zu lieblos und an der Zielgruppe vorbei waren die Konzepte. Oder wie es in einem Kommentar zur „Swatch Paparazzi MSN Direct“ bei Gizmodo.com heißt: Die Uhr erinnert an etwas, „das als Beigabe zu einem Happy Meal kommt“. Das gilt leider für so manchen Innovationsversuch aus dem Hause Swatch.

Wer sich ein genaueres Bild der Historie machen möchte: Swatch Touch (2011)Swatch Paparazzi (2004) in Koop mit Microsoft und Swatch .beat (1998) mit eigener Internetzeit (?!? – habe ich damals schon nicht verstanden).

Also konzentrierte man sich wohl lieber auf Luxusmarken und eine Klientel, die jede kleine technische Finesse und jede Sekunde Ganggenauigkeit einer Mechanikuhr frenetisch feiert – und teuer bezahlt. Bei den Nicht-Luxusuhren scheint die Swatch Group eher so etwas wie „Dienst nach Vorschrift“ zu betreiben. Man macht es scheinbar, weil es zur Geschichte gehört – und irgendwie noch Geld bringt. Und dass viele Menschen keine Uhren tragen? Nun gut, die Zeiten sind eben so… Es bleibt ja das florierende Luxussegment.

Swatch vs. Apple: Die vernachlässigten Zielgruppen

Sollte das zutreffen, dann ist es ein Fehler, so zu denken. Denn genau hier setzen Apple und weitere Branchenfremde wie LG, Samsung, Motorola und kaum bekannte Unternehmen wie Withings und Pebble (bereits 1 Million mal verkauft) mit neuen Konzepten fürs Handgelenk an. Sie wollen Swatch und Co., mit Ankündigung, Marktanteile streitig machen. Und sie bedienen eben jene Preiskategorie von 150 bis 350 Euro.

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Damit nehmen sie Zielgruppen ins Visier wie die Mode-, Fitness- und Trendbewussten. Die vielzitierten Hipster, die schon lange keine echte Trend-Uhr mehr gesehen haben. Und jene Uhrenverweiger, die einen triftigen Grund brauchen, sich wieder etwas an den Arm zu binden. Zum Beispiel, weil die Smart Watch der zukünftige Autoschlüssel ist – wie es Autobauer Tesla mit der Apple Watch vormacht. Oder die zukünftige Geldbörse – sekundenschnelles Bezahlen per Doppelklick verspricht Apple Pay. Smart Watches könnten schon bald unser Leben erheblich erleichtern, ähnlich wie es Smartphones bereits getan haben.

Und damit gehört auch jeder zur Zielgruppe, der iPhone- oder Android-Nutzer ist. Schließlich ist das Konzept Smart Watch nichts anderes als ein Mini-Smartphone am Handgelenk, das zig praktische Apps beherbergt. Oder anders: Es geht schon lange nicht mehr um Uhren und die Uhrzeit – es geht um einen Tausendsassa mit Touch-Screen und unentbehrlichen Helfer im Alltag. Einen Helfer, den man nicht mehr aus der Tasche ziehen muss, wie eine antiquierte Taschenuhr.

Und wie reagiert der Ex-Trendsetter Swatch auf die vermeintliche Bedrohung aus dem Lager der Smart Watches? Überheblich und erschreckend realitätsfremd – wie dieses Video (unbedingt anschauen!) in einem Artikel auf tagesanzeiger.ch zeigt.

„Wir sind nicht nervös.“ sieht anders aus

Doch siehe da: Nur wenige Monate später scheint es einen erheblichen Sinneswandel gegeben zu haben. Der angeblich nicht nervöse Swatch-Chef Hayek kündigte am 5. Februar 2015 eine eigene Smart Watch an. Sie soll in den darauffolgenden zwei bis drei Monaten in den Handel kommen. Also zeitgleich mit der Apple Watch. Das Modell „Swatch Touch“ aus dem Jahr 2011 soll dafür als Basis dienen (siehe oben).

Man darf nun wirklich gespannt sein, ob es dem (Luxus-)Uhrenkönig Hayek und seiner Swatch Group nach über dreißig Jahren wieder gelingen wird, mit einer smarten Uhr für jedermann zu punkten.

Zu befürchten ist jedoch eher, dass sie – verwöhnt vom Erfolg im Luxussegment – vieles verlernt haben; und nun unter Zeitdruck und ohne echte Strategie irgendwie irgendein Produkt auf den Markt bringen. Wohingegen branchenfremde Unternehmen in den letzten Jahren sehr schnell dazugelernt haben – vor allem, wie man ganze Branchen umkrempelt. Aber zum Glück sind die Platzhirsche nicht nervös – zumindest nicht offiziell.

Update (11. März 2015):

Mittlerweile hat sich Elmar Mock, Miterfinder der Swatch, in Sachen Smart Watches und der Schweizer Uhrenindustrie in einem Bloomberg-Interview geäußert – recht kritisch:

“Es erinnert mich leider zu stark an die Quartzkrise” (…) “bis jetzt haben die Uhrenmacher die gleichen Fehler gemacht wie damals. Wir haben viel Arroganz in der Schweizer Uhrenindustrie gesehen in den letzten paar Jahren.”

Quellen: wirtschaftsblatt.at und Bloomberg (inkl. Video)

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Dieser Artikel entstand ursprünglich in einem Zusammenhang abseits von zeigr.com. Vielleicht nicht typisch für dieses Uhren-Blog – dennoch passt er hierher. Zumal ich mich hier schon zum Thema Apple und seine Smart Watch geäußert habe. Sollte er also Anklang finden, ist es gut möglich, das weitere dieser Art folgen. Viel Spaß beim Lesen!