Danke, Helmut Sinn!

Helmut Sinn
(Lesezeit: 4 Min.)

Es gibt einiges, wofür ich Helmut Sinn dankbar bin. Und das, obwohl ich ihn nur einmal getroffen habe. Natürlich sind da seine Uhren, deren Fan ich seit Ende der 90er Jahre bin, die ich sammle und über die ich hier im Blog seit Jahren schreibe. Doch da ist noch mehr. Es hat vor allem mit seiner Persönlichkeit und Art zu tun, die nicht nur mich, sondern viele andere Menschen und Uhrenfans beeindruckt hat. Davon zeugen die vielen Kommentare in den sozialen Medien, im Sinn-Uhrenforum und in diesem Online-Kondolenzbuch seiner letzten Firma Guinand. Helmut Sinn, der passionierte Pilot, ist am 14. Februar 2018, dem Valentinstag, seinen letzten Flug angetreten. 101 Jahre ist er geworden – er führte ein erfülltes Leben (Traueranzeige).

Wofür bin ich also Helmut Sinn noch dankbar? Außer für die schönen (Vintage-)Uhren, die mich bei jedem Tragen an ihn erinnern werden. Nun, ich glaube, dass es viel mit seiner gnadenlosen Ehrlichkeit und einer kaum vorhandenen Diplomatie zu tun hatte. Helmut Sinn sagte, was er dachte. Zumindest als ich ihn traf und mit ihm über Uhren und die Uhrenbranche sprach. Er sprach Tacheles. Ohne Filter. Und er traf genau die Punkte, die in der Uhrenbranche seit Jahrzehnten etabliert sind, aber für uns als Uhrenkäufer grundlegend falsch laufen. Die Stichworte lauten: Uhrenpreise, Qualität, Einzelhandel, teure Imagekampagnen und überhaupt der „Saus und Braus“ der Uhrenbranche (den der Kunde indirekt bezahlen darf). Er stand, so schien es, eher auf der Seite der Uhrenkäufer – weniger auf der Seite des klassischen  Uhrenhandels. Der Direktvertrieb zu angemessenen Preisen erschien ihm als die ehrlicherste Variante, Uhren  zu verkaufen. Seine Kunden dankten es ihm. Und ich danke ihm für seine Sicht auf die Uhrenbranche.

Obwohl Helmut Sinn sicherlich ein Mensch mit Ecken und Kanten war, empfand ich ihn bei unserem Treffen als freundlich, bescheiden und auf eine charmante Art eigensinnig. Und er hatte – trotz seines Alters von damals 96 Jahren – irgendwie etwas „Spitzbübisches“ an sich. Er sagte und tat einige Dinge, die mich heute noch zum Schmunzeln bringen. Ein paar Beispiele? – So sagte er bei unserem Gespräch in einem italienischen Restaurant in Frankfurt Rödelheim – sinngemäß: „Ich behaupte nicht immer Recht zu haben. Aber man muss mich schon vom Gegenteil überzeugen. Solange bleibe ich bei meiner Meinung.“. Und nachdem ich nun eine Weile mit ihm gesprochen hatte, war ich mir ziemlich sicher, dass das alles andere als leicht gewesen sein dürfte ;)

Was mich ebenfalls schmunzeln ließ: Am Nachbartisch entdeckte Helmut Sinn eine attraktive Frau. Sein Gesicht strahlte. Die Dame stand gerade auf und war ihm Begriff zu gehen. Helmut Sinn sagte zu seinem ebenfalls anwesenden Geschäftspartner: „Hilf der Dame doch mal in den Mantel.“ – Die gute alte Schule. Und dieses Leuchten in seinen Augen beim Anblick der attraktiven Frau. – Es ist nur mein persönlicher Eindruck, aber ich glaube, dass Herr Sinn ein großer Fan von Frauen war :) Und dass sein Todestag ausgerechnet der Valentinstag war… Nun, das wird mich immer wieder an ihn und diese Situation denken lassen.

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Die letzte Anekdote – und für mich die schönste: Das Interview war zu Ende. Wir verließen das Restaurant La Fenice und ich wollte mich gerade bei Herrn Sinn bedanken und verabschieden. Da meinte er zu mir: „Ich begleite Sie zum Bahnhof.“ – Dass ich verdutzt war, muss ich nicht erwähnen. Natürlich wehrte ich sofort ab und meinte, dass das überhaupt nicht nötig sei. (Normalerweise bietet man einem 96-jährigen Menschen seinen Platz im Bus oder der Bahn an – dieser hier wollte mich Jungspund nun zur Bahn begleiten. Verkehrte Welt.). Herr Sinn bestand aber darauf. Und sein Geschäftspartner meinte zu mir: „Lassen Sie ihn. Er möchte es gern.“. Also gab ich mich geschlagen. Eine Diskussion hätte ich eh nicht gewonnen (siehe oben). So gingen wir zusammen zu dem rund einen Kilometer entfernten Bahnhof. Dabei kamen wir zur einer Treppe, die an einigen Stellen noch Schnee und Eis hatte. Helmut Sinn lief sie schnurstracks hinunter. Ein wenig zu schnell. Ich hatte Sorge, dass er auf dem Eis ausrutscht und fällt. Sein Geschäftspartner war ganz entspannt. Wahrscheinlich kannte er das schon. – Nicht ohne Grund nannte man Helmut Sinn auch den „schnellen Helmut“. Wegen seiner Liebe zum Auto- und Rallyfahren – neben der Fliegerei (Wikipedia). Am Bahnhof  angekommen warteten wir gemeinsam auf meinen Zug und unterhielten uns noch eine Weile. Natürlich über Uhren.

Helmut Sinn - Visitenkarte und Interviewfragen
Helmut Sinn hatte einen Signierstempel. Zur Demonstration signierte er damit meine Interviewfragen. – Bezeichnend: Seine Visitenkarte zierte ein Flugzeug (Junkers Ju 52/3m – Tante Ju) – keine Uhr… – Er war Pilot. Und das Fliegen seine große Leidenschaft.

Für mich als Uhrenfan ging ein großartiger Tag zu Ende. Und ich bin dankbar, dass ich Helmut Sinn persönlich kennenlernen und sprechen konnte. Nicht zuletzt, weil er mir, ohne es vielleicht zu wissen, etwas mitgegeben hat, was mir hilft, Menschen und Begegnungen in der Uhrenbranche besser einzuschätzen. Im Prinzip geht es um folgende Fragen: In welchem Maße redet die Person mir gegenüber Tacheles? Hat sie Ecken und Kanten – und damit Persönlichkeit? Und wie sehr denkt die Person/das Unternehmen bei all dem Gesagten und Marketing-Brimborium an seine Kunden – den Uhrenkäufer? Oder dient das alles nur dem Aufbau eines exklusiven Images, um teure Uhren über Juweliergeschäfte in Bestlage zu verkaufen?

Und vielleicht werde ich zukünftigen Gesprächspartnern, die mir teure Fliegeruhren und die dazugehörige „Markenwelt“ anpreisen wollen, die Frage stellen, ob sie jemals ein Flugzeug selbst geflogen sind. Ich vermute, dass kaum einer glaubhaft mit „Ja“ antworten kann.

Helmut Sinn konnte es.

 

Mehr über Helmut Sinn, den Piloten, Unternehmer und Uhrenhersteller:

Interview mit Helmut Sinn – Vorwort

Interview mit Helmut Sinn – Teil 1

Interview mit Helmut Sinn – Teil 2

 

Mehr auch auf dieser Website: Vintage Sinn Collector

 

Und natürlich auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Sinn